Änderungen eines Testaments bedürfen immer der Unterschrift

Änderungen eines Testaments bedürfen immer der Unterschrift

Das OLG Köln hat entschieden, dass zwar Änderungen eines Testaments grundsätzlich auch auf der Kopie des eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testaments vorgenommen werden können; Voraussetzung ist dabei allerdings, dass auch die Änderungen mit einer Unterschrift des Erblassers versehen sind.

Die Erblasserin hatte zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Erbvertrag geschlossen, mit dem sie sich gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben einsetzten. Nach dem Tod ihres Ehemannes verfasste sie außerdem ein handschriftliches Testament mit verschiedenen Regelungen zugunsten ihrer Söhne. Dieses Testament wurde im Original auf Veranlassung der Erblasserin in einem Bankschließfach verwahrt, während sie in ihrer Wohnung Kopien aufbewahrte. Auf einer der Kopien nahm die Erblasserin zwei handschriftliche Ergänzungen bzw. Streichungen vor. Die erste Änderung versah sie mit Datum und Unterschrift, bei der zweiten Änderung hingegen fehlt eine Unterschrift. Nach dem Tod der Erblasserin berief sich einer der beiden Söhne darauf, entsprechend der beiden vorgenommenen Änderungen Alleinerbe geworden zu sein und beantragte die Erteilung eines Alleinerbscheins. Dem trat der andere Sohn der Erblasserin als Antragsgegner mit der Begründung entgegen, dass die zweite Änderung, mit der er auf den Pflichtteil beschränkt werden sollte, mangels Unterschrift nicht wirksam sei.

Das OLG Köln hat der Beschwerde des Antragsgegners stattgegeben und den Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann ein formwirksames Testament auch dadurch hergestellt werden, dass der Testierende die Fotokopie eines von ihm eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testaments eigenhändig ändere, wenn der im vorhandenen Original und auf der Kopie niedergelegte Text ein einheitliches Ganzes bilde. Auch Änderungen in Form von eigenhändigen Durchstreichungen des fotokopierten Textes könnten unter dieser Voraussetzung Teil eines formwirksamen Testaments sein. Um den Formerfordernissen des § 2247 BGB gerecht zu werden, sei es jedoch erforderlich, dass auch die Änderungen mit einer Unterschrift des Erblassers versehen seien. Umso mehr gelte dies, nachdem die Erblasserin ihre erste Änderung unterzeichnet, dies jedoch bei der zweiten Änderung unterlassen habe. Es sei deshalb nicht auszuschließen, dass es sich lediglich um einen Entwurf gehandelt habe.

Gericht/Institution: OLG Köln
Erscheinungsdatum: 24.09.2020
Entscheidungsdatum: 22.07.2020
Aktenzeichen: 2 Wx 131/20
Norm: § 2247 BGB

Quelle: JURIS | Pressemitteilung des OLG Köln Nr. 42/2020 v. 24.09.2020

Kostenübernahme für Behandlungen im EU-Ausland

Kostenübernahme für Behandlungen im EU-Ausland

Der EuGH hat entschieden, dass die Kostenübernahme für einen im EU-Ausland dringend vorgenommenen Eingriff bei fehlender Vorabgenehmigung durch die Krankenkasse nicht generell ausgeschlossen werden darf.

Im Jahr 1987 erlitt ein ungarischer Staatsangehöriger eine Netzhautablösung im linken Auge und verlor die Sehkraft auf diesem Auge. Im Jahr 2015 wurde am rechten Auge ein Glaukom diagnostiziert. Seine Behandlung in verschiedenen ungarischen Gesundheitseinrichtungen blieb ohne Wirkung; sein Gesichtsfeld verringerte sich immer mehr und der Augeninnendruck nahm stetig zu. Am 29.09.2016 kontaktierte er einen in Recklinghausen (Deutschland) praktizierenden Arzt und erhielt bei ihm einen Untersuchungstermin für den 17.10.2016. Der Arzt wies ihn darauf hin, dass er seinen Aufenthalt bis zum 18.10.2016 verlängern müsse, da an diesem Tag ggf. ein augenärztlicher Eingriff erfolgen werde.
In der Zwischenzeit wurde bei einer ärztlichen Untersuchung in Ungarn ein Augeninnendruck festgestellt, der deutlich über dem als normal geltenden Wert lag. Die am 17.10.2016 in Deutschland vorgenommene Untersuchung veranlasste den dortigen Arzt zu der Entscheidung, dass der augenärztliche Eingriff dringend vorzunehmen sei, um die Sehkraft zu erhalten. Der Patient wurde am 18.10.2016 erfolgreich operiert.
Der Antrag auf Erstattung der mit der Gesundheitsversorgung in Deutschland verbundenen Kosten wurde von den ungarischen Behörden mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei dieser Versorgung um eine geplante Behandlung handele, für die er keine Vorabgenehmigung erhalten habe, wie sie von den Unionsverordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – ABl. 2004, L 166, 1 und Verordnung (EG) Nr. 987/2009 – ABl. 2009, L 284, 1) vorgeschrieben werde.
Das Szombathelyi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szombathelyi, Ungarn), bei dem eine Klage gegen die Entscheidung anhängig ist, die mit der genannten Gesundheitsversorgung verbundenen Kosten nicht zu erstatten, hat den EuGH gefragt, ob die Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die Richtlinie 2011/24/EU über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (ABl. 2011, L 88, 45) oder der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegenstehen, die dahin ausgelegt wird, dass sie die Übernahme der Kosten einer ohne Vorabgenehmigung in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Gesundheitsversorgung in allen Fällen ausschließt, ohne dabei den Gesundheitszustand des Patienten und die Dringlichkeit der fraglichen Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen.

Der EuGH hat entschieden, dass die nationale Regelung eine unverhältnismäßige Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt und gegen die Richtlinie verstößt.

Nach Auffassung des EuGH ist als Erstes im Wege der Auslegung der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit festzustellen, dass eine Gesundheitsversorgung, die der Versicherte allein nach seinem eigenen Willen in einem anderen Mitgliedstaat als dem seines Wohnsitzes in Anspruch genommen hat, eine geplante Behandlung im Sinne der Verordnungen darstellt, deren Kostenübernahme davon abhängig ist, dass der zuständige Träger des Wohnmitgliedstaats eine Vorabgenehmigung erteilt hat.

Entsprechend seines Urteils vom 05.10.2010 (C-173/09 „Elchinov“) könne der Versicherte selbst dann die Erstattung der mit dieser Behandlung verbundenen Kosten unmittelbar vom zuständigen Träger erlangen, wenn vor Beginn der in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Behandlung keine ordnungsgemäß erteilte Vorabgenehmigung vorgelegen habe – und zwar in Höhe dessen, was dieser Träger normalerweise übernommen hätte, wenn der Versicherte über eine solche Genehmigung verfügt hätte. Diese Möglichkeit bestehe insbesondere, wenn der Versicherte wegen seines Gesundheitszustandes oder der Dringlichkeit, sich dieser Behandlung zu unterziehen, außerstande war, eine solche Genehmigung zu beantragen bzw. die Entscheidung des zuständigen Trägers über seinen Genehmigungsantrag abzuwarten (im Folgenden: besondere Umstände).

Im Hinblick darauf obliege es dem zuständigen Träger – unter der Kontrolle der nationalen Gerichte –, zum einen zu prüfen, ob der von ihm zu untersuchende Fall besondere Umstände aufweise und zum anderen, ob die Kriterien für eine Kostenübernahme durch den zuständigen Träger gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 883/2004 (in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 883/2004 heißt es: „Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.“) im Übrigen erfüllt seien.

Hinsichtlich der erstgenannten Voraussetzung (Eintritt besonderer Umstände) sei festzustellen, dass die am 15.10.2016 in Ungarn erfolgte Untersuchung, deren Ergebnis die Dringlichkeit des augenärztlichen Eingriffs bestätigt habe, dem sich der Patient dann tatsächlich am 18.10.2016 in Deutschland unterzogen habe, ein Indiz dafür darstellen könne, dass er die Entscheidung des zuständigen Trägers über einen Genehmigungsantrag nicht hätte abwarten können. Allerdings sei es Sache des ungarischen Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob die beiden oben genannten Voraussetzungen erfüllt seien.

Für den Fall, dass das ungarische Gericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass der Patient für die Kosten der Behandlung in Deutschland keinen Erstattungsanspruch auf der Grundlage der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit habe, sei als Zweites zu prüfen, ob der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs und die Richtlinie über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung, mit der dieser Grundsatz konkretisiert werde, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die bei fehlender Vorabgenehmigung die Kostenerstattung für die Gesundheitsversorgung des Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat in allen Fällen ausschließe, selbst wenn die echte Gefahr bestehe, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten irreversibel verschlechtert. Die von einem Versicherten aus einem Mitgliedstaat hiernach beanspruchbare Erstattung der Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung sei auf den Betrag der Kosten begrenzt, die dieser Mitgliedstaat übernommen hätte, wenn die betreffende Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre, wobei die Erstattung die Höhe der tatsächlich durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten nicht überschreiten dürfe.

Ein Vorabgenehmigungssystem, wie es durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung geschaffen wurde, stelle insoweit eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.stellt.

Soweit die ungarische Regierung argumentiere, dass eine solche Beschränkung durch das Ziel gerechtfertigt sei, eine optimale Planung und Verwaltung der Gesundheitsversorgung zu ermöglichen und die mit dieser Versorgung zusammenhängenden Kosten zu begrenzen, sei darauf hinzuweisen, dass ein solches Bedürfnis nur für Krankenhausbehandlungen oder aufwändige Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern geltend gemacht werden könne, nicht aber für ärztliche Beratungen. Das ungarische Gericht werde daher zu prüfen haben, ob der fragliche augenärztliche Eingriff unter eine dieser beiden Behandlungskategorien falle.

Für den Fall, dass das ungarische Gericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass es sich bei dem fraglichen augenärztlichen Eingriff um eine Krankenhausbehandlung oder eine aufwändige Behandlung außerhalb eines Krankenhauses handele, sei festzustellen, dass eine nationale Regelung, die bei fehlender Vorabgenehmigung – selbst wenn die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme im Übrigen erfüllt wären – auch unter den oben genannten besonderen Umständen ausschließt, dass der zuständige Träger die Kosten einer solchen Behandlung erstatte, eine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs bewirke und gegen die Richtlinie über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung verstoße.

Gericht/Institution:EuGH
Erscheinungsdatum:23.09.2020
Entscheidungsdatum:23.09.2020
Aktenzeichen:C-777/18

Quelle: JURI | Pressemitteilung des EuGH Nr. 113/2020 v. 23.09.2020

Keine Kostenübernahme für Behandlung chronischer Erschöpfung in Naturheilzentrum

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass ein Mann, der bereits eine lange Zeit an chronischer Erschöpfung leidet, keine Kostenübernahme für die Behandlung seines Erschöpfungssyndroms in einem Naturheilzentrum verlangen kann.

Zugrunde lag die Klage eines Mannes (geb. 1967), der seit langem an chronischer Erschöpfung, allergischem Asthma, Tinnitus, einer Nierenerkrankung u.a. leidet. Bei seiner Krankenkasse beantragte er die Kostenübernahme für die Behandlung seines Erschöpfungssyndroms in einem Naturheilzentrum. Er gab dazu an, dass seine Erkrankung besonders schwer sei. Nach seiner Ansicht gäbe es in Deutschland keine Kassenärzte, die eine passende Behandlung durchführen könnten. Demgegenüber sei die Heilpraktikerin des Naturheilzentrums auf die Behandlung von Erschöpfungssyndromen spezialisiert. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab, da Heilpraktiker nicht berechtigt seien, ihre Leistungen über die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abzurechnen. Eine Behandlung könne nur durch zugelassene Ärzte erfolgen.

Das LSG Celle-Bremen hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Das Landessozialgericht hat sich in seiner Begründung auf die Rechtsprechung des BSG gestützt. Hiernach umfasse der Leistungskatalog der GKV u.a. die ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Zwingende Voraussetzung der Krankenbehandlung sei die Approbation der betreffenden Behandler. Der gesetzliche Arztvorbehalt bedeute einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung.

Das Erfordernis der Approbation sei auch nicht ausnahmsweise bei erfolgloser Arztsuche verzichtbar, sondern es sei eine zwingende berufliche Mindestqualifikation für den Behandlungsanspruch. Heilpraktiker seien damit von der selbstständigen Leistungserbringung für GKV-Patienten ausgeschlossen.

Vorinstanz
SG Hannover, Gerichtsbescheid v. 07.10.2019 – S 10 KR 209/19

Gericht/Institution:Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Erscheinungsdatum:21.09.2020
Entscheidungsdatum:19.08.2020
Aktenzeichen:L 4 KR 470/19

Quelle: JURIS | Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 18/2020 v. 21.09.2020

Krankenkasse zahlt nicht für Ginseng als Nahrungsergänzungsmittel

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass ein Mann, der unter anderem an chronischer Erschöpfung, allergischem Asthma, Tinnitus und einer Nierenerkrankung leidet, keinen Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Kostenübernahme für Ginseng und Zink als Nahrungsergänzungsmittel hat.

Sein behandelnder Arzt empfahl ihm eine Nahrungsergänzung mit Eleutherococcuskapseln (Taiga-/Ginsengwurzel) und Zinktabletten. Bei seiner Krankenkasse beantragte er die Kostenübernahme und die Erstattung bereits gezahlter Rechnungen. Die Kasse lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Nahrungsergänzungsmittel generell von der Kostenübernahme ausgeschlossen seien und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nur in wenigen Ausnahmefällen übernommen werden könnten. Demgegenüber meinte der Mann, dass die Präparate wegen der Schwere der Erkrankung notwendig seien. Sein Gesundheitszustand habe sich durch die Gabe der Kapseln bereits verbessert.

Das LSG Celle-Bremen hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts sind Nahrungsergänzungsmittel unabhängig von der Art der Erkrankung durch die Arzneimittelrichtlinien ausgeschlossen und bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln muss es sich um einen ausnahmsweise gelisteten Therapiestandard handeln. Die streitigen Präparate seien nicht vom Leistungskatalog der GKV umfasst. Die Krankenkassen seien auch nicht gehalten, alles zu leisten, was zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar sei.

Bestimmte Produkte könnten aus dem Leistungskatalog ausgeklammert und der Eigenverantwortung der Versicherten zugewiesen werden. Außerdem sei der individuelle Glaube an die Wirksamkeit nicht ausreichend. Nach den Herstellerinformationen zielten Ginseng und Zink allgemein auf die Stärkung des Immunsystems; für eine spezifische Heilungsaussicht des Erschöpfungssyndroms lägen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor.

Vorinstanz
SG Hannover, Gerichtsbescheid v. 06.03.2020 – S 10 KR 1312/19

Gericht/Institution:Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Erscheinungsdatum:21.09.2020
Entscheidungsdatum:19.08.2020
Aktenzeichen:L 4 KR 161/20

Quelle:JURIS | Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 19/2020 v. 21.09.2020

Sozialversicherungspflicht eines Notarztes

Sozialversicherungspflicht eines Notarztes

Das LSG Schleswig hat entschieden, dass ein Notarzt, der im Auftrag des Kreises im öffentlichen Rettungsdienst tätig ist, in der Regel sozialversicherungspflichtig ist.

Übernehme ein Arzt nebenberuflich regelmäßig Bereitschaftsdienste im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes des Kreises, führe er diese Notarzttätigkeit in der Regel nicht in selbstständiger Tätigkeit aus, sondern es liege eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor, so das Landessozialgericht.

Geklagt hatte ein 45-jähriger Arzt, der hauptberuflich in einer eigenen Praxis tätig ist. Nebenher übernimmt er für verschiedene Auftraggeber Bereitschaftsdienste als Notarzt. Einer dieser Auftraggeber ist der Kreis Nordfriesland, der den öffentlichen Rettungsdienst im Kreisgebiet sicherstellt. Der Arzt erhält hierfür ein festes Honorar pro Bereitschaftsstunde und pro Einsatz. Er ist in einen Schichtplan eingebunden und wird angefordert, wenn ein Notruf eingeht und die Rettungsleitstelle entscheidet, dass ein Notarzt neben dem Rettungswagen erforderlich ist. Der Kreis stellt hierfür ein Notarztfahrzeug zur Verfügung. Vor Ort trifft der Arzt alle medizinischen Entscheidungen eigenständig. Mit einem sog. Statusfeststellungsantrag wollte er bei der Deutschen Rentenversicherung Bund feststellen lassen, dass diese Notarzttätigkeit im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erfolgte. Diese ging jedoch vom Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung aus.
Das sah das SG Schleswig in erster Instanz anders und ordnete die Tätigkeit des Arztes als selbstständig ein.

Das LSG Schleswig hat dieses Urteil im Berufungsverfahren aufgehoben.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist der Arzt so in die Organisationsstruktur des vom Kreis zur Verfügung gestellten Rettungsdienstes eingebunden, dass die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwiegen. Denn letztlich unterliege der Notarzt der fachlichen Aufsicht des ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes. Er sei fest in den Schichtplan eingebunden und könne einzelne Aufträge innerhalb seiner Schicht nicht ablehnen. Er greife über das Notarztfahrzeug auf die Sachmittel des Kreises zurück. Dass der Arzt vor Ort hinsichtlich der medizinischen Fragen keine Weisungen des Arbeitgebers erhalte, sei in der Therapie- und Behandlungsfreiheit eines jeden Arztes begründet und somit als grundsätzlich für eine selbstständige Tätigkeit sprechendes Merkmal nicht schwer zu gewichten.

Das Landessozialgericht folgt damit einer Linie des BSG. Das BSG hatte am 04.06.2019 (u.a. B 12 R 11/18 R) für in Krankenhäusern tätige Honorarärzte entschieden, dass die besondere Qualität der ärztlichen Heilkunde eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausschließe. Aufgrund des hohen Grades der Organisation in einem Krankenhaus, hätten die dort tätigen Ärzte keinen eigenen unternehmerischen Einfluss und seien in die dortigen Betriebsstrukturen und Abläufe eingebunden. Zu den Notärzten gebe es bislang noch keine Entscheidung vom BSG. Zu dieser Frage seien derzeit zwei Revisionen aus anderen Ländern dort angängig.

Gericht/Institution:Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Erscheinungsdatum:17.09.2020
Entscheidungsdatum:16.09.2020
Aktenzeichen:L 5 BA 51/18

Im vorliegenden Fall hat das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Schleswig v. 17.09.2020 – JURIS